Mentale Einsatzvorbereitung bei der Feuerwehr

Foto: Stella Pfuhl
Im Brandfall wählst du den Notruf und vertraust auf die Feuerwehr. Wie bereiten sich Einsatzkräfte auf die hohen psychischen und physischen Belastungen durch Notfälle vor?
Eine Reportage von Stella Pfuhl und Noémie Meier
In ein brennendes Gebäude rennen, ohne zu wissen, was hinter dem Vorhang der Flammen vor sich geht. Eine solche Situation erfordert einen kühlen Kopf und mentale Stärke. Im Bildungszentrum Blaulicht (ZH) bietet das Team um Jonas Kohler einen Weiterbildungskurs an, um den Umgang mit Stress zu thematisieren und den Mitgliedern Bewältigungstechniken mit auf den Weg zu geben. Im deutschsprachigen Raum ist Jonas’ Team das einzige, welches diesen Kurs namens PAFARI anbietet. Jonas Kohler erklärt uns, dass die Methode ursprünglich aus Frankreich stammt. Der Pariser Berufsfeuerwehrmann Thierry Guilbert entwickelte die PAFARI-Methode, nachdem er zweimal bei einem Einsatz fast ums Leben gekommen war. Die PAFARI-Methode basiert auf der These, dass zwar physisches wie auch technisches Wissen unerlässlich für die Feuerwehrarbeit ist, aber die mentale Stärke einen gleich grossen Aspekt bei den Einsätzen darstellt. Diesen Aspekt der mentalen Stärke soll in dieser Reportage nähergebracht werden.

Foto von J.K zur Verfügung gestellt
Kommt mentale Einsatzvorbereitung noch zu kurz?
Um diese Frage zu beantworten, sprechen wir mit einem Feuerwehrmann der AMG (Feuerwehr Allmendingen Muri-Gümligen). Levin Perreten arbeitet dort ehrenamtlich und gibt uns einen kleinen Einblick in den Alltag eines Feuerwehrmannes.
Zuerst erklärt er uns, dass das Feuer zweifelslos ein sowohl riskanter als auch faszinierender Aspekt seiner Arbeit sei. Jedoch muss die Feuerwehr auch andere Aufgaben übernehmen, wie Keller auspumpen, Katzen von Bäumen retten oder Naturschäden aufräumen. Diese Einsätze gehören nicht unbedingt zu seinen Lieblingsaufgaben. Die Feuerwehr sei jedoch da, um zu helfen und deshalb erledige er auch solche Aufgaben mit Freude.
Im Bezug zur mentalen Einsatzvorbereitung erwähnt Levin, dass diese seiner Meinung nach noch zu kurz komme. Er selbst habe auch noch nie von dem PAFARI-Tunnel gehört. Sie hätten zwar zwei-drei Übungen im Jahr, um beispielsweise ihr Durchhaltevermögen zu verbessern oder die eigenen Grenzen zu überschreiten. Das seien dann aber meistens eher fachspezifisch ausgerichtete Übungen. Levin erzählt uns auch von einer Übung, die er einst absolvierte. Sie bestand darin, mit ganzer Ausrüstung inklusive Atemschutzgerät eine längere Strecke zu laufen und anschliessend noch Fussball zu spielen. Die Teilnehmenden hatten somit knappe 30 kg auf dem Rücken.
Mentale Stärke rund um einen Feuerwehreinsatz
Die Arbeit der Feuerwehr ist für uns nicht wegzudenken, doch unter der Uniform sind normale Menschen, was man oftmals vergisst. Es gibt Einsätze, bei denen Einsatzkräfte der Feuerwehr starken psychischen und physischen Belastungen durch Stress ausgesetzt werden.
«Alles, was ich nicht kenne, kann den Stress steigern, denn der Mensch mag keine Dinge, die er nicht kennt. Somit ist jeder Einsatz Stress», erklärt uns Jonas Kohler. Er arbeitet als Unteroffizier bei der Berufsfeuerwehr von Schutz & Rettung Zürich und ist auch als Ausbildner und Dozent an der höheren Fachschule für Rettungsberufe tätig.
Es ist wichtig, zwischen verschiedenen Stufen von Stress zu unterscheiden. So erklärt uns Jonas Kohler, dass man nicht aus einem Liegestuhl aufstehen und dann sofort an den Einsatz gehen könne. Denn man sei dann in einem unaufmerksamen Stadium, in dem man beispielsweise antriebslos oder müde sei. Stress kann die Leistung so weit steigern, dass man aufmerksam wird. Jonas Kohler nennt das die «neutrale Wachsamkeit». In diesem Stadium empfinde man positive Gefühle, sei heiter und zufrieden. Es ist das Stadium, in dem man kompetent und leistungsfähig sei, da man analytisch und rational vorgehen könne. Danach komme die «Überwachsamkeit». In diesem Stadium empfinde man Emotionen wie Wut und Angst. Diese Emotionen können sich dann bei einem Einsatz negativ auf die Arbeit und das Team auswirken.
«Alles, was ich nicht kenne, kann den Stress steigern»
Ist man ständig stark gestresst, kann das auch zu Burnout führen. Um solchen Stressfolgestörungen vorzubeugen, ist eine vermehrte Auseinandersetzung mit dem Thema Stressbelastung in Feuerwehrkreisen zwingend notwendig. Um Stress besser zu verstehen, setzen sich Einsatzkräfte vermehrt mit sich selbst auseinander, denn die stresserhöhenden Faktoren werden individuell wahrgenommen. Stressreaktionen sind von Person zu Person unterschiedlich. Der eine wird vielleicht schnell aufbrausend, wohingegen der andere ganz ruhig, gar schweigsam reagiert. Wichtig ist es nach besonders belastenden Fällen, mit der Einsatzkraft über die Unsicherheiten, die sie empfunden hat, zu sprechen und wenn nötig auch fachlich kompetente Beratung einzubeziehen. Auch die Leute von den Blaulichtorganisationen empfinden Angst und es ist wichtig, darüber zu sprechen.

Foto von J.K zur Verfügung gestellt
Wie beeinflusst man die physische Leistungsfähigkeit?
Die körperliche Belastung im Beruf der Feuerwehr ist enorm, weshalb das PAFARI-Dreieck auch eine solche Säule beinhaltet. Wie schaffen es die Feuerwehrleute, den physischen Belastungen standzuhalten, wenn sie gerade noch geschlafen haben und plötzlich auf ihre höchste Herzfrequenz kommen müssen? Dadurch wird nicht nur der Geist, sondern auch der Körper unter Stress gesetzt. Das Geheimnis liegt auf der Hand – Sport. Kraft- und Ausdauertraining ist für Feuerwehrleute ein Muss, denn sie müssen viel Gewicht schleppen, extremer Hitze standhalten können und vieles mehr. Mit einem Herz-Kreislauf- und Krafttraining lassen sich Muskeln aufbauen und Kondition steigern. Um ein abwechslungsreiches physisches Training für die Feuerwehrleute zu garantieren, gibt es auch Feuerwehrsport. Mancher Feuerwehrsport hilft nicht nur der Ausdauer der Feuerwehrmitglieder, sondern auch dem Teamgeist. Es gibt mittlerweile sogar internationale Wettbewerbe.
Mentale Einsatzvorbereitung mit dem PAFARI©-Tunnel
Dass es wichtig ist, sich mental auf einen Einsatz vorzubereiten, wurde schon erläutert. Es stellt sich daher die Frage, welche Methoden es zur Vorbereitung gibt. Das Bildungszentrum Blaulicht bietet Weiterbildungskurse für alle Blaulichtorganisationen an. Der PAFARI-Kurs befasst sich mit einem Teil der mentalen Einsatzvorbereitung - ursprünglich «préparation mentale opérationnelle» (kurz PMO) -, welcher den Teilnehmenden ermöglichen soll, mentale Stärke für den Einsatz, aber auch für die Bewältigung des Alltags zu trainieren. Das Team von Jonas Kohler konzipierte einen zweitägigen Kurs, der sich aus einer Mischung von Theorie und Praxis zusammensetzt. Während des ersten halben Tages wird zuerst theoretisch das Thema Stress angeschaut. Es wird darüber gesprochen, wie Stress funktioniert, wie er sich auswirkt, wie man ihn spürt und wie man mit ihm umgeht. Ein Teil der Theorie sind hier auch die Atemtechniken, welche den Teilnehmenden mit auf den Weg gegeben werden. Mit diesen Techniken können sie dann auch ihren Stress kontrollieren. «Das Ziel ist es, bereits vor dem Einsatz mit der Atemtechnik den Stresspegel so weit zu senken, dass ich möglichst ruhig in den Einsatz starte. Und dass ich ein wenig ‘Puffer’ habe, falls meine Lösungsstrategie nicht funktioniert», erläutert Jonas Kohler. Die Teilnehmenden lernen zuerst theoretisch, mit Stress umzugehen, und dann werden sie diesem ausgesetzt. Die Ausbildner erzeugen im Praxisteil den Stress mithilfe des PAFARI-Tunnels. Das Ziel ist es, vom einen Tunnelende zum anderen zu kommen und dies mit der Feuerwehrausrüstung und dem Atemschutzgerät. Auf dem Weg zum Ziel muss man verschiedenste Hindernisse überwinden und durch Öffnungen in verschiedenen Formen kriechen. Je nachdem wie weit die Teilnehmenden fortgeschritten sind, kriechen sie durch immer schwierigere Formen. Bevor ein Teilnehmer durch den Tunnel geht, schreibt dieser drei Emotionen auf, die er gerade empfindet. Nach dem Durchgang wiederholt der Teilnehmer dies, um sich mit den eigenen Emotionen zu beschäftigen. So schreibt ein Teilnehmer vor seinem Durchgang auf: «inspiriert, interessiert und skeptisch». Nach dem Durchgang schreibt er auf: «müde, glücklich und zufrieden.»

In dem Tunnel ist es eng und die Teilnehmenden verspüren reale Ängste, solche, die das Gefühl von Lebensgefahr auslösen. Man empfinde im Tunnel beispielsweise Platzangst und Atemnot, erklärt uns Jonas Kohler. Die Teilnehmenden suchen in diesen Parcours ihre eigenen Grenzen und erleben dabei hohen Stress. Dabei werden sie durch den Ausbildner unterstützt, aber nicht forciert oder unter Druck gesetzt weiterzumachen.
«Es ist ein gängiges Klischee, dass wir Helden sind und keine Angst haben»
Der Ausbildner trägt bei diesen Kursen eine grosse Verantwortung, da man einen Menschen in diesem Tunnel auch traumatisieren kann. Deshalb bleibt der Ausbildner die ganze Zeit beim Teilnehmenden, beobachtet diesen und erinnert ihn bei Bedarf an seine Atmung.
In Bezug auf die Teilnehmenden fällt Jonas Kohler auf, dass diese einen ganz neuen Zugang zu sich selbst fänden. Sie würden auch feinfühliger werden. «Ein Teilnehmer hat es schön gesagt: ‘Es ist ein Selbstfindungskurs’. Die europäische Gesellschaft setzt sich fast nicht mit Gefühlen auseinander […] und der Zugang zu Gefühlen sehr Schwierig.» Im PAFARI-Kurs wird mit Stress gearbeitet, mit dem Ziel diesen früh zu erkennen und herauszufinden, was die persönlichen Ursachen für Stress sind. Um dort weiterzukommen, muss man sich mit sich selbst auseinandersetzen und auf seine Gefühle hören. So erklärt uns Jonas Kohler: «Wenn ich vor dem PAFARI-Tunnel stehe und mir zum ersten Mal sage, dass ich Angst habe, löst das etwas in mir aus. Das macht man nicht gerne, insbesondere nicht in den Blaulichtorganisationen. Es ist ein gängiges Klischee, dass wir Helden sind und keine Angst haben.»
Wie sieht es ein Teilnehmer?

Foto: Stella Pfuhl
Vor Ort sprechen wir auch mit einem Kursteilnehmer. Der Teilnehmer N.T. arbeitet nebenberuflich bei der Feuerwehr und ist hauptberuflich Ingenieur. Er findet den Kurs sehr gut und meint, er hätte viel über sich und seine Emotionen gelernt. Im Theorieteil des Kurses werden Emotionen und Stressbewältigung thematisiert. Dies findet er spannend, da nach seinen Erfahrungen Männer nicht oft über ihre Emotionen sprächen. Auch der Aufbau des Kurses war für ihn eine neue Erfahrung. Zuerst sei das Thema Stress nähergebracht worden. Aus diesem -eher theoretischen- Teil habe er mitgenommen, dass man Stress zwar nicht verhindern könne, jedoch seinen eigenen Grenzen zur Überwachsamkeit arbeiten könne.
N.T. beim Absolvieren seines Parcours zuzusehen hat uns beeindruckt. Sowohl von seiner Leistung als auch der Stimmung im Raum. Jonas Kohler, der als Ausbildner die Verantwortung hat, ist die ganze Zeit bei N.T. und unterstützt ihn, wenn er wirklich gar nicht mehr weiterkommt.
Die anderen Leute um den Tunnel herum, andere Ausbildner wie auch andere Teilnehmende beobachten N.T. gespannt. Für uns als Aussenstehende sieht es nach einem unterstützenden Umfeld aus.
Interview Auszug von dem Interview mit Jonas Kohler
Werden die Kursteilnehmer*innen auf andere psychische belastendere Einsätze, wie zum Beispiel, wenn Kinder in Gefahr sind, vorbereitet?
Bei Einsätzen, in denen Kinder involviert sind, kann unser Kurs helfen. Wir hatten erst vor Kurzem einen Einsatz, der ein bisschen an die Substanz ging. Da hilft dieser Kurs, weil man weiss, wo man starten soll, wo man ist und wie man sich fühlt. Ist man vielleicht zu aufgedreht, zu ruhig oder ist man wirklich bereit, um Leistung zu erbringen. Unser Kurs zeigt den Teilnehmenden, wie man sich selbst ein wenig regulieren kann, und bereitet somit auch auf belastendere Situationen vor.
Werden die Kursteilnehmer*innen Ihrer Meinung nach auch auf psychosoziale Herausforderungen, wie einen persönlichen Bezug zum Einsatz, vorbereitet?
Meiner Meinung nach sollte man aussteigen, sobald man einen persönlichen Bezug zum Einsatz hat. Es gibt vielleicht wenige, eiskalte Leute, die den persönlichen Bezug abfedern können, jedoch nicht viele. Ich würde mich aus dem Einsatz zurückziehen, da ich in diesem Moment meinem Team nicht viel bringen würde. Ich möchte irgendwie helfen, obwohl ich eigentlich rational arbeiten sollte.
Gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern als Kursteilnehmende?
Es gibt viel weniger Teilnehmerinnen als Teilnehmer. Da spiegelt sich die Verteilung der Frauen in der Feuerwehr wider. Jedoch sind die Teilnehmerinnen deutlich stärker und belastbarer als die Männer. Männer kommen manchmal aufgeblasen zu diesem Kurs und kaum geht es in den PAFARI-Tunnel, tut’s weh, ist’s eng und unangenehm. Da ist das Aufblasen schnell vorbei. Frauen hingegen reagieren anders auf Stress. Sie sind ruhiger und geplanter, dadurch wissen sie, was sie wollen. Männer hingegen reagieren schnell mit Wut und Kraft. Sie machen meistens ein Riesentheater und reagieren mit "Ich will hier weg". Bei Frauen hatten wir lange das Problem, dass wir sie nicht an ihre Grenzen gebracht haben.
- Jonas Kohler